Ich habe mich für Entspannung entschieden. Mein Kopf aber nicht – der macht weiter. Ich bin unruhig, mein Herzschlag pocht leicht in den Ohren und meine Gedanken springen hin und her, von Dringlichem zu Vergessenem zu Unwichtigem. Doch warum eigentlich?
Betrachten wir unsere biologische Antwort auf Stress noch einmal genauer:
Ob durch Reizüberflutung, Projektdruck oder den eigenen Perfektionismus ausgelöst – sind wir erst einmal im körpereigenen Stressmodus angekommen, fällt es uns schwer, die nötige Regeneration zuzulassen. Nicht selten taumeln wir unbewusst auf einem konstanten Stresshormonpegel durch unseren Alltag und kommen auch in eingeplanten Atempausen nicht zur Ruhe.
Der biologische Ausganspunkt dieser Reaktion ist unser vegetatives Nervensystem.
Das vegetative oder autonome Nervensystem befähigt uns, auf äußere Situationen sensibel und differenziert reagieren zu können. Eng verknüpft mit unseren Gefühlen und Empfindungen steuert es alle lebenswichtigen Körperfunktionen.
Dabei bilden zwei Teilsysteme eine perfekte Symbiose: der Sympathikus fördert unsere Aktivität und Leistungsbereitschaft, das parasympathische System sorgt für Regeneration und Erholung. Immer nur einer der beiden Nervensysteme ist am Zug, in gesunder Balance schafft unser Körper damit ein fein abgestimmtes Wechselspiel aus Gaspedal und Bremse, aus Kraft nutzen und Kraft tanken.
Lernen wir diese beiden Mitspieler etwas genauer kennen, hilft es uns dabei, sie zu verstehen und sie bewusst im Gleichgewicht zu halten.
Wir sind bereit, zu handeln! In diesem Zustand sind wir aktiv, leistungsfähig und in Bewegung, wir reagieren schnell und zielgerichtet. In unserem vegetativen Nervensystem ist jetzt der Sympathikus am Werk, der für beschleunigten Herzschlag, eine schnellere Atmung, eine Erhöhung des Blutdrucks und einen Anstieg der Stresshormone Adrenalin und Cortisol sorgt. In unserem kreativen Schaffensprozess sind wir jetzt produktiv – Projekte und Aufgaben werden angegangen, Probleme gelöst und Organisatorisches vom Tisch gefegt.
Erst einmal durchatmen. Tritt das parasympathische System in den Vordergrund, wird unsere Herzfrequenz und unserem Atem verlangsamt, der Blutdruck sinkt und unsere Verdauung kann in Ruhe arbeiten. Hier können körpereigene Prozesse in Gang gebracht werden, die uns helfen, Energiereserven aufzubauen, innere und äußere Verletzungen zu heilen, (Über-) Belastungen und Reizüberflutung zu verarbeiten und unsere Gedanken zu sortieren. Wir finden jetzt Muße und Zeit für Reflektion, Ideen können gedeihen und neue Erkenntnisse gewonnen werden.
Bei unseren Vorfahren wurde dieser Wechsel durch körperliche Aktivität reguliert. Den damaligen Belastungssituationen wurde mit physiologischem Kraftaufwand begegnet und damit automatisch der Wechsel zum Regenerationsmodus in Gang gesetzt.
Auch heute noch fällt es uns leichter, nach einer langen Wanderung oder einem Tag Holzhacken in wohlige, tiefe Erholung zu versinken, als nach einem anstrengenden Arbeitstag am Schreibtisch. Bei geistiger oder innerer Anstrengung bleibt das automatische Runterfahren unseres Systems meist aus und wir verharren häufig unbewusst im Kampf- und Fluchtmodus.
Nimmt diese ständige Alarmbereitschaft überhand, so verfallen wir in den Zustand der Nervosität und Rastlosigkeit, leiden unter Schlafstörungen und Kopfschmerzen, unsere Verdauung reagiert mit Durchfall und Muskeln verspannen sich dauerhaft.
Entspannung ist für viele ein Luxusgut. Wir gönnen uns den Mittagsschlaf, wir tun uns was Gutes mit einer Meditation und erlauben uns die kurze Atempause am Schreibtisch.
In der kreativen Arbeit und dem Meistern von komplexen Herausforderungen sind Regenerations- und Verarbeitungsphasen allerdings ein unverzichtbares Element, ohne das unsere Lösungsfindung und unser Wirken auf Dauer weder nachhaltig, noch kreativ oder effizient sein können.
Diese Art zu Arbeiten verlangt nach Mut, nach Wachheit und Authentizität – und nach der Hingabe an die größeren Zyklen der Natur, die weiter greifen als der nächste Projektabschluss oder der anstehende Termin. Unser Körper weiß instinktiv um die Symbiose und Gleichwertigkeit dieser beiden perfekten Gegensätze und wartet nur darauf, sie auszuleben: das Machen ebenso wie die Muße.
Text Martje Mehlert | Lektorat Julia Reverey | Illustration Carina Lange Inhaltliche Anlehnung an Anna Wise: Awakened Mind Training.