
Lernräume für kreative Intelligenz
Wie lernen wir in immer größer werdender Komplexität und Ungewissheit zu navigieren? Als einzelne und im Kollektiv? Diese Fragen beschäftigen sicherlich viele von uns, besonders jetzt, nach einem Jahr Pandemie. Und das egal wie wir leben oder wo wir arbeiten.
In diesem Beitrag erzählt Edda Kruse Rosset, Mitgründern von Kaospilot+ Berlin, wie die Kaospiloten Praxis, Körper und Intuition als Ansatz fürs Lernen und Gestalten nutzen, um dadurch Fragen und Möglichkeiten zum Navigieren im Unbekannten näher kommen.
Raum für Körper und Intuition
Schon seit ihrer Gründung haben die Kaospiloten verstanden, dass wir durch erlebnisbasierten Input lernen, weshalb die Lernenden im Laufe ihrer Ausbildung verschiedene Arten der Körperarbeit ausprobieren. Sich selbst wahrzunehmen und dadurch individuelle Transformation zu ermöglichen ist zentral für die Kaospilot-Herangehensweise.
Praxis und das Erforschen der eigenen Routinen, des Erlebens und Erfahrens, zu spüren und zu hören was funktioniert – wiederholen was bereichert, ändern, was einem nicht hilfreich ist – dazu werden Lernende immer wieder aufgefordert. Es ist die beste Voraussetzung auch nach ihrem Abschluss eine gesunde, nachhaltige Lebensweise zu praktizieren.
In unseren Lernräumen vermitteln und praktizieren wir, dass Menschen Verantwortung haben – für den individuellen und kollektiven Lernraum, für die Projekte, die sie erarbeiten und die Zusammenarbeit, deren Teil sie sind. Wir haben die Verantwortung und Fähigkeit im Gespräch und in Beziehung zu sein, mit Mitmenschen und unserer Umwelt. Wir möchten das Bewusstsein zur Handlungsfähigkeit stärken, dazu auffordern, das Wort zu ergreifen, ja zu handeln, wenn Veränderung gefordert und erwünscht ist. Das ist in der Bildungslandschaft grundlegend experimentell und leider noch viel zu selten.
Theorie UND Praxis
Unsere Lernräume sind handlungsorientiert (Praxis – Reflektion – Theorie) und projektbasiert. Externe Inputs werden in interaktiven Workshop Formaten von Praktizierenden aus verschiedenen Disziplinen gegeben. Sie bilden, in Kombination mit der Gestaltung individueller Lernwege und der Projektarbeit in Gruppen, die Grundlage für den experimentellen Lernraum. Das Experimentieren steht als Prinzip selbst im Mittelpunkt, es geht immer um das Ausprobieren - entweder von neuen konkreten Methoden oder darum die eigenen Grenzen und Kapazitäten zu erkunden.
Die Ganzheitliche Lernmethode beinhaltet bei den Kaospiloten die folgenden drei Lern-Modi:

KNOWING (konzeptuelles & theoretisches Wissen)
DOING (methodologisches und praktisches Wissen)
BEING (phänomenologisches und erfahrungsbasiertes Wissen)
In anderen pädagogischen Kontexten ist dieses Trio auch als „Kopf, Herz und Hand“ bekannt. Bei den Kaospiloten sprechen wir von Embodied Leadership. Kaospiloten lernen also auch über (Bauch-) Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen, denn diese sind Teil von uns und für persönlichen Wandel sowie zentrale Elemente für die transformative Zusammenarbeit. Das wird z. B. durch das Erlernen und Praktizieren von gewaltfreier Kommunikation getan (und dem Erkunden davon, was Intuition ist und wie wir sie stärken, hören und aus ihr heraus handeln können).
Mein Lebenskontext als Lernlabor
Neben inhaltlichen Foki wie Projekt-, Prozess- und Unternehmensgestaltung spielt die beschriebene Persönlichkeitsentwicklung eine zentrale Rolle. Sinnerfüllt und selbstgesteuert Lernen können Menschen ein Leben lang. Deshalb regen wir an, sich als Lernende stetig eigene nachhaltige und holistische Lernwege zu gestalten, die über die Ausbildung hinaus beibehalten und angewandt werden können. Diese Praxis heißt bei den Kaospiloten ‚Enterprising Leadership Practice‘ (Unternehmerische Führungspraxis, übers. d. A.).
Dabei werden eher extern orientierte Fragen, zur ersehnten Rolle innerhalb gesellschaftlicher Veränderungsprozesse, zum eher nach innen gerichteten Blick – wie man persönlich nachhaltig und zufrieden näher an die gewünschte Version des Selbst kommt – in Beziehung gesetzt:
Wie können meine Wünsche nach positivem Wandel einheitlich mit meinem Lebensstil sein? Wie kann ich mein Schaffen ganzheitlich sehen und welche Praxen führen mich dorthin? Was ist das besondere an meinem persönlichen Lebenskontext und wie steht das in Verbindung mit dem uniken Kontext in dem ich mich befinde (Umwelt, gesellschaftliche Strukturen etc.)?

Spätestens wenn Themen wie Systemwandel und Komplexität zentral werden ist das wachsende Verständnis dafür, dass man selbst, im eigenen Körper, auch immer Teil des Systems, Teil des Wandels ist, hochrelevant. Das ist oft ein transformativer Aha-Moment für Lernende und Praktizierende – denn für wirklichen Systemwandel muss stets auch ein innerer Wandel stattfinden.
Wir nehmen uns überall hin mit
Wenn wir lernen, Körper, Geist und Intellekt in Beziehung zueinander zu bringen und ganzheitlich zu unserer Entwicklung und unserem Schaffen einzusetzen, können wir als Mensch mit allen unseren Facetten zur Stelle sein. In den unterschiedlichsten Lebenskontexten.

Auch wenn es ermüdend sein kann, ständig um das Potential des eigenen inneren Wandels zu wissen, potentiell dauernd und überall an uns arbeiten und uns bewusst entwickeln zu können – die Herangehensweise Praxis, Körper und Intuition als Ansatz fürs Lernen und Gestalten zu sehen, ist einzigartig. Ihr immenses transformatives Potential wird leider noch häufig unterschätzt und hat deshalb in vielen Bildungs- und Lernkontexten zu wenig Raum.
Eine persönliche Praxis zu entwickeln, die unser Bewusstsein und unsere Akzeptanz dazu schult, dass unsere Körper und unser Geist mysteriös und zum Teil immer unbekannt bleiben werden, unterstützt uns vielleicht, wenn wir von unserer eigenen Komplexität überrascht, ja gar überfordert werden. Und vielleicht macht es diese Praxis an einigen Tagen leichter, die wahnsinnige Komplexität und das Unbekannte in unseren Leben freundlicher zu begrüßen.
Edda Kruse Rosset ist Mitgründerin von Kaospilot+ Berlin:
“Gemeinschaftliches arbeiten, gestalten und Leben sowie gesellschaftlichen systemischen Wandel durch alternative Bildungsformate voranzutreiben: das liegt mir am Herzen. Ich bin auch Yogalehrerin und meine, dass wir unsere Routinen und Körper mit-transformieren müssen, um Veränderung wirklich zu leben.”
Mehr über die alternative Bildungseinrichtung Kaospiloten aus Dänemark hier und die Kaospisoten+ Berlin hier.
Text Edda Kruse Rosset | Lektorat + Illustration Tsitsi Roland