Die Welt ist ein Meer. Wir schwimmen in einem Meer aus Wissen. Lebendiges Wissen auf verschiedenen Ebenen, von verschiedenen Quellen und in verschiedenen Sprachen.
Und wir alle verfügen über ein unglaublich ausgereiftes System, um dieses Wissen aufzunehmen, zu verarbeiten und anzureichern: unseren Körper.
„Die instinktive Psyche versteht den Körper als ein Netzwerk der Kommunikation, als einen Botschafter mit zahllosen Informationssystemen auf nervlicher, respiratorischer, muskulöser, organischer, autonomer, aber auch emotionaler und intuitiver Ebene. (…) Der Körper ist ein Lebewesen, das viele verschiedene Sprachen beherrscht. Er äußert sich durch seine Farbgebung, durch seine Temperatur, das jähe Zucken einer Erkenntnis, das Glühen der Liebe, das Ziehen oder Stechen von Schmerzen, die Hitze der Erregung, die Kälte seiner Ablehnung.
Der Körper erinnert sich an alles. In seinen Knochen hausen Erinnerungen; in den Gelenken, selbst im kleinen Finger sitzt sein Gedächtnis und wird in den Zellen gespeichert. Wie ein mit Wasser gefüllter Schwamm verspritzt
der Körper seine Erinnerungen in Form von Bildern und Gefühlen, sobald das Fleisch an irgendeiner Stelle berührt, gestreichelt, gezwickt oder massiert wird.
Die Schönheit und den Wert des Körpers auf irgend etwas Geringeres als diese enorme Vielfalt zu reduzieren bedeutet, dem Körper die Weisheit und das Recht abzusprechen, jede ihm gefällige Form anzunehmen und seines Lebens froh zu werden."
CLARISSA PINKOLA ESTÉS amerikanische Psychoanalytikerin und Geschichtenerzählerin
Um das greifbar zu machen unterscheide ich zwischen drei Ebenen: unserem physischen Körper, dem mentalen und dem emotionalen Körper.
der physische körper
Körperempfindungen
der emotionale körper
Gefühle
der mentale körper
Gedanken
Alle drei Körper stehen in enger Verbindung und stetigem Austausch miteinander.
Der Verstand mit dem linearen und abstrakten Denken, unsere Gefühle mit der überwältigenden Kraft von Wut, Trauer oder Freude und unsere körperlichen Empfindungen mit der Klarheit von Unwohlsein, Verspannung oder Kribbeln. In ihrem Zusammenspiel liefern sie uns alles an Wissen, was wir für den Moment brauchen.
Hier kommen alle Informationen zusammen, die uns zur Verfügung stehen, hier sammelt sich alles an Weisheit, was wir haben. Genau hier, zwischen den drei Körpern ist für mich Kreativität zu finden.
Mein Körper ist mehr als eine Gestalt. Viel mehr als eine Masse, die in Form gebogen und gedrillt werden will. Er ist ein Wunderwerk der Natur, ein Botschafter von Weisheit.
william shakespeare
Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen lässt.
Um diese Fülle zu erschließen, hilft nur eins: die Sprachen lernen. Lernen, mit sich selbst zu kommunizieren.
Als ich anfing, mit mir zu sprechen, kam von meinem Körper ein lautes Wirrwarr an Gefühlen, Gedanken und Empfindungen zurück. Wie jemand, dem lange nicht zugehört wurde, entlud sich mein Körper nun auf allen Ebenen gleichzeitig.
Verschiedene Persönlichkeitsanteile sprachen in unverständlichen Sprachen, alte Muster und Blockaden traten zu Tage, Schmerzen und Krankheiten, die ich weggeschoben hatte, blühten auf. Für mich war das ein heilloses Chaos. Von intuitiven Erkenntnissen fühlte ich mich in dieser Stimmgewalt weit entfernt.
Die Welle, die mich mit mir in Kontakt gebracht hatte, war groß, schnell und überwältigend. Vielleicht geht das aber auch ruhiger. Etwas klarer und bewusster.
Wie lerne ich eine neue Sprache?
Zu Beginn hole ich mir das theoretische Rüstzeug: Vokabeln, grammatische Grundregeln. Wie sprechen meine drei Körper mit mir? Was meinen sie mit diesen oder jenen Empfindungen oder Gefühlen?
Ich lerne gerade so viel, dass ich ein wenig verstehen kann. Dann höre ich versuchsweise hin. Höre mir in diesem Fall einfach mal selbst zu. Was ich denke, was ich fühle, was ich empfinde. Lerne die verschiedenen Charaktere kennen, die da antworten. Lerne, die Lauten etwas zu beruhigen und die Stillen zu ermuntern. Mit den Kritikern umzugehen.
Ich fange an, im offenen Meer zu schwimmen. Ein Fisch im Wasser der Informationen. Ich werde besser im Empfangen, im Wahrnehmen. Ich differenziere immer feiner und lerne, jede Information wertzuschätzen.
Ich lerne Fragen zu stellen – und bekomme die spannendsten Antworten, die ich mir nur vorstellen kann.
Text Martje Mehlert | Lektorat Julia Reverey | Illustration Lia Schönfelder | Zitat Clarissa Pinkola-Estés [amerikanische Psychoanalytikerin und Poetin] aus „Die Wolfsfrau“, Seite 219 – 220